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100 Jahre Zunft Pforzheim Schmuck + Gestaltung 21. September bis 11. November 2012, Eröffnung Donnerstag, 20. September, 19 Uhr


Bild links oben: Brosche "Sonnenwind" Gold / Silber, Edelstahl / Wolfgang Brenk / Pforzheim 1999 ; Bild links unten: Brosche / Gold, Ebenholz, Conch-Naturperle / Martina Eiert / Pforzheim 2006 ; Bild rechts: 534 BM / Halsschmuck / Weißgold, Platin, Brillanten / Reinhold Reiling / Pforzheim 1956 / Schmuckmuseum Pforzheim / Foto Günther Meyer

Schmuckmuseum Pforzheim

1912, als die erste der beiden Traditionszünfte für Goldschmiede in Pforzheim gegründet wurde, herrschte eine Aufbruchstimmung unter den durchweg jungen Gründungsmitgliedern. Zunächst als Kunstgewerbeschülervereinigung K.S.V. benannt, war es das Ziel der Mitglieder, sich sowohl künstlerisch als auch handwerklich gegenseitig zu unterstützen und zu fördern. Wenige Jahre später und nach einem tiefen Einschnitt durch den I. Weltkrieg firmierte die Zunft unter dem Namen »Turm Pforzheim«.

 

Einem ähnlichen Programm folgte die einige Jahre jüngere »Zunft Jungkunst«. Von den Mitgliedern beider gingen wichtige Impulse aus, ob für die künstlerische oder die industrieorientierte Schmuckgestaltung. Künstlerpersönlichkeiten wie Theodor Wende oder Reinhold Reiling waren aktive Mitglieder. 2003 gingen die zwei Vereinigungen in der »Zunft Pforzheim Schmuck + Gestaltung« auf. »Heute ist es uns ein Anliegen, die Raritäten dieser beiden Zunftarchive aufzubereiten und somit ein Stück Pforzheimer Geschichte lebendig werden zu lassen«, schildert Obermeister Rolf Linder. Das heißt jedoch nicht, dass man sich zeitgenössischen Techniken gegenüber verschließen würde – im Gegenteil. Vielmehr haben auch Verfahren wie CAD bei der Zunft Einzug gehalten. Aus Anlass des hundertjährigen Bestehens der Zunft gibt die Ausstellung einerseits einen Rückblick und widmet sich andererseits den heutigen Mitgliedern und ihren Werken. Rund 200 Objekte von 40 Mitgliedern sind zu sehen. 
 
Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg
Beide Vereinigungen hatten dieselben Bestrebungen: Im freundschaftlichen Kreis wollte man sich für den Beruf weiterbilden. Bei den Zunfttreffen hörte man gemeinsam Vorträge, sah Filmvorführungen oder unternahm Ausstellungsbesuche und Studienfahrten. Man diskutierte über Techniken und neue Strömungen in der Kunst. Der Name »Zunft« wurde nicht gewählt, um wieder die mittelalterlichen Zünfte aufleben zu lassen, sondern um in einer Zeit des Wertewandels Orientierung zu geben. Man wollte seine Arbeit im besten Sinne »zünftig« machen - fachgerecht. 
Oskar Vester schrieb 1967 in einem Artikel über die Zunft Turm in der Pforzheimer Zeitung: »So entstand eine Gemeinschaft besonderer Prägung, die in ihrer Eigenart kein Vorbild hatte. Eintreten konnte nur, wer eine schöpferische Begabung nachweisen konnte. Der Neuaufgenommene war zunächst Stift. Nach einjähriger Zugehörigkeit mußte eine Gesellenarbeit vorgelegt werden. Doch erst die Meisterarbeit verschaffte dem Zünftler Rang und Ansehen. Die allwöchentlichen Zusammenkünfte fanden im ›Museum‹ (einer Gaststätte in der Museumsstraße, Anm. SMP), statt, geleitet vom Obermeister, der als Zeichen seines Amtes den Zunfthammer führte. Die Zünftler trugen ein grünes Barett, das ihre Zusammengehörigkeit nach außen sichtbar demonstrierte.«
Den gleichen Idealen und Zielen verpflichtet, freundschaftlich und in gesunder Konkurrenz, präsentierten sich die beiden Zünfte der Öffentlichkeit mit Ausstellungen und der erfolgreichen Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben. Als Entwerfer oder Techniker, angestellt oder selbständig arbeiteten die Mitglieder in der Schmuckindustrie. Sie waren freischaffende Kunsthandwerker oder Lehrer an den Fachschulen. Daneben gab es Bildhauer, Grafiker, Kunstschmiede oder Kunsttischler. Sie hatten ihr künstlerisches Rüstzeug an der Badischen Kunstgewerbeschule in der Holzgartenstraße erhalten und schlossen sich den Zünften an.
 
Wende und Kassube als erste künstlerische Leiter
Die Zunft Jungkunst konnte 1926 Theodor Wende als künstlerischen Leiter und 
Ehrenobermeister gewinnen, der seit 1921 an der Großherzoglich-Badischen Kunstgewerbeschule unterrichtete, bis 1951 Professor war und bis zu seinem Tod 1986 mit und für die Zunft arbeitete. Er gilt als Vorbild der individuell arbeitenden Goldschmiede des 20. Jahrhunderts.
 
Die Zunft Turm hatte seit 1927 den Bildhauer Max Kassube, seit 1926 ebenfalls Professor an der Kunstgewerbeschule, als künstlerischen Berater und Ehrenobermeister bis zu dessen Tod beim Angriff auf Pforzheim 1945. Von ihm wurde der Pforzheimer Vogelbrunnen entworfen, der von dem Schlosser Karl Schmidt als Meisterstück ausgeführt wurde. Unter seiner Leitung begann ein neues Kapitel. Manche zur Bürde gewordene Tradition wurde über Bord geworfen, es gab einen lebendigen Austausch mit den bildenden Künsten, die Vereinigung wurde moderner. 
 
Neuanfang nach 1945/Goetzell und Reiling als Ehrenobermeister
Der Zweite Weltkrieg brachte das Zunftgeschehen zum Erliegen. Die Zunftwerkstätten und viele Arbeiten wurden zerstört, die nach dem Krieg Heimgekehrten fanden Pforzheim in Trümmern vor. So waren die ersten Zunftabende Treffpunkt für die Zurückgekommenen, die wieder in ihren Berufen arbeiten und die Stadt und ihre Betriebe aufbauen wollten. Wieder lernten junge Menschen in der Schule in der Holzgartenstraße, die inzwischen Meisterschule hieß, und engagierten sich daneben in den beiden Vereinigungen. 
 
Die Zunft Turm hatte von 1949 bis 1970 den Maler Amandus Goetzell als künstlerischen Leiter und Ehrenobermeister, von dem viele wertvolle Impulse ausgingen. Auch er war Professor an der Kunstgewerbeschule und hatte eine eigene Technik zum Malen mit Lackfarben entwickelt. Insbesondere aber gestaltete er Metalloberflächen bereits seit den 20er Jahren mit Hilfe von Maschinen und sah hier, wie Oskar Vester 1967 in der PZ schreibt, »einen Weg, als Künstler in der modernen Industriegesellschaft eine bedeutungsvolle Funktion zu übernehmen.« 
Der dritte Ehrenobermeister der Zunft Turm war von 1973 bis 1983 der Wende-Schüler Reinhold Reiling, der zu den namhaftesten Schmuckkünstlern seiner Zeit gehörte. Der Bildhauerei sehr zugetan, war er empfindsam für die Strömungen der Kunst jener Zeit, von denen er viele Anregungen in die Schmuckgestaltung übertrug. Er war von 1969 bis 1983 Professor für Schmuckgestaltung an der - inzwischen umbenannten - Kunst + Werkschule.
 
Die Zünftler arbeiteten nach dem Motto Theodor Wendes: »Über den Alltag hinaus sollt ihr euer Werk gestalten«. Was in der Zunft entstand, sollte frei sein vom Verkaufszwang, sollte etwas Besonderes sein. Hier fanden die Mitglieder neben der Arbeit in der Industrie ein Umfeld, in dem sie im Gegensatz zur dortigen Anonymität eigenständig gestalterisch arbeiten konnten. Ob mit neuen Impulsen in der Industrie oder individuell im Rahmen ihrer Vereinigung haben die Zünftler daran mitgearbeitet, den Ruf Pforzheims als Goldstadt zu festigen. Seit 2003 unter dem Namen »Zunft Pforzheim Schmuck + Gestaltung« firmierend, sind die vierzehntägigen Zunftabende oder Ausstellungsbesuche weiterhin wichtiger Bestandteil der Aktivitäten für die aktuell 70 Mitglieder. 
 
 
Führungen durch die Ausstellung
Sonntag, 30. September und 21. Oktober, 15 Uhr
5 €, ermäßigt 3,50 €
 
 
Archivbeitrag 06.07.2012
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