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Selbstüberschätzung oder sehr gesundes Selbstvertrauen?

 
Mario Sarto
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Mario Sarto

 ·  #1
Aus zahlreichen Gesprächen mit einem Kollegen hat sich etwas herauskristallisiert, das ich hier zur Diskussion stellen möchte:
Der Goldschmied biegt seinen Draht und erfreut sich an der gelungenen Form. Immer wieder betrachtet er sein Werk und ist regelrecht verzückt.

Dabei soll es nicht um die Extremform des Cardillac-Syndroms gehen. Vielmehr sind der Kollege und ich der Meinung, dass - gefördert von der "Einsamkeit der eigenen Werkstatt" - ein hohes Maß an Selbstvertrauen in das eigene Können entsteht, vielleicht sogar in manchen Fällen eine Art der Selbstüberschätzung. Dies kann durchaus positive Auswirkungen haben, wenn der einzelne stets "sein Bestes" gibt und an sich glaubt. Auf der anderen Seite besteht aber die reelle Gefahr, den Blick für "anderes", "neues" oder gar "besseres" zu verlieren.

Höhen und Tiefen wird jeder erlebt haben, Stücke, die von Anfang bis Ende missraten sind und solche, auf die man ein Leben lang stolz ist. Wie aber würden Menschen vom gleichen Gewerk diese Arbeiten bewerten? Scheut man sich gar davor?

Wie wichtig waren für euch die Zeiten, in denen ihr mit anderen zusammen gearbeitet habt - der neue Arbeitskollege, die neue Werkstatt oder die Wochen an der Berufs- und Meisterschule?

Bekanntlich führen viele Wege nach Rom - wie war das bei euch - hattet ihr Ausbilder, die sagten so musst Du das machen oder sagten sie, wenn es so nicht klappt versuchst Du eben den anderen Weg. Hattet ihr den Eindruck, dass sie sich für die Größten hielten oder verdienten sie Respekt durch ihr Wissen und Können?

Bewahren Wettbewerbe vor dem "Überschnappen"? Fortbildungslehrgänge?
Oder üben wir uns am Ende doch alle in Demut?
Tilo
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Tilo

 ·  #2
Zitat geschrieben von MaSa
Immer wieder betrachtet er sein Werk und ist regelrecht verzückt.


passiert mir eher selten

Zitat geschrieben von MaSa
Auf der anderen Seite besteht aber die reelle Gefahr, den Blick für "anderes", "neues" oder gar "besseres" zu verlieren.


gerade der Umgang mit dem Internet und insbesondere der Fachforen und Internetseiten der Kollegen kann einen ja durchaus einen realistischen Blick für seine eigenen Schwächen und Stärken bieten
bei manchen Kollegenseiten denke ich mir so, ach du liebe Zeit, ist da vieles einfallslos zusammengeschustert: grobe Schiene, senkrechte Fassung, fertig ist die Kunst
noch ein wenig draufrumgekratzt spart das Versäubern und Polieren
bei anderen wiederum staunt man über die Qualität der Stücke und die Kreativität und wäre gern so gut

wer natürlich nur sich und seinen Kram kennt, kann schon irgendwie den bezug zur Realität verlieren

Zitat geschrieben von MaSa

Höhen und Tiefen wird jeder erlebt haben, Stücke, die von Anfang bis Ende missraten sind und solche, auf die man ein Leben lang stolz ist. Wie aber würden Menschen vom gleichen Gewerk diese Arbeiten bewerten? Scheut man sich gar davor?


passiert mir ganz selten, daß man ein Stück keinem Kollegen zeigen würde, wenn, dann nur, weil man auf ausdrücklichen Kundenwunsch etwas gemacht hat, hinter dem man aus unterschiedlichen Gründen nicht steht
oder wenn man an eigentlich unsichtbarer Stelle ne Lot-Pore hinterlassen hat,die sich erst beim Polieren gezeigt hat, die der Kunde nie sehen wird, aber ein Kollege schon, und die sich nur mit größtem Risiko für das Stück oder extremem Zeitaufwand hätte beheben lassen(Diese Woche bekomm ich mein PUK und dann fällt dieses Argument flach ;- ) )

Zitat geschrieben von MaSa

Bekanntlich führen viele Wege nach Rom - wie war das bei euch - hattet ihr Ausbilder, die sagten so musst Du das machen oder sagten sie, wenn es so nicht klappt versuchst Du eben den anderen Weg. Hattet ihr den Eindruck, dass sie sich für die Größten hielten oder verdienten sie Respekt durch ihr Wissen und Können?


hatte nur einen Ausbilder und der war immer für neue Wege offen und freut sich heute noch, wenn ich mal was ganz neues "erfunden" habe oder zumindest etwas, was er nie (vor)gemacht hat

Zitat geschrieben von MaSa
Demut


naja, wenn der eine oder andere wieder mal seine Stücke vorgestellt hat
aber das Gegenteil, wenn der eine oder andere mal wieder ne Frage gestellt hat, die man selbst "mit links" beantworten konnte oder etwas betrifft, was man schon lange und natürlich viel besser macht ;-)
der Mix machts
Adrian Weber
 
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Adrian Weber

 ·  #3
...
Juwelfix
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Juwelfix

 ·  #4
Zitat
dass - gefördert von der "Einsamkeit der eigenen Werkstatt" - ein hohes Maß an Selbstvertrauen in das eigene Können entsteht, vielleicht sogar in manchen Fällen eine Art der Selbstüberschätzung


Da ich hier mit vielen Kollegen eng zusammen arbeite, kenne ich viele Facetten davon.
Mir selbst geht es eigentlich ehr so, dass ich meine Fähigkeiten oft unterschätze. Das hat aber vermutlich seine Wurzeln darin, dass ich selbst kaum anfertige und somit auch wenig Feedback für meine Arbeiten bekomme.
Und auch daran, dass ich hier einige Kollegen kenne, denen ich bestenfalls die Boraxschale halten könnte.:oops:

Andrerseits kommen dann immer wieder die Aufträge mit Problemstücken, bei denen der Kunde hofft, dass ich sie noch irgendwie Retten kann.
Und da sind dann vom Quereinsteiger, über Schmuckdesigner bis hin zum Goldschmiedemeister alle vertreten.
Da wundere ich mich oft über das vorhandene Selbstbewusstsein trotz fehlender Grundkenntnisse und Fähigkeiten.

Meine Ausbildung habe ich auch schon in einem Reparaturbetrieb absolviert. Mein Meister war immer offen für neue Ansätze, was gerade bei Schmuckreparaturen auch sehr vorteilhaft ist.
Von ihm habe ich wohl das stetige Interesse an neuen Herstellungsmethoden und Werkzeugen gelernt.
"Man lernt nie aus" war ein beliebter Spruch von ihm, wenn auch manchmal zweideutig gemeint.
8)
Heinrich Butschal
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Heinrich Butschal

 ·  #5
Ich verschiebe viel und freue mich auf mein Alter, weil ich dann hoffe, ähnlich wie es mein Vater in seinem Alter getan hat, in meiner Goldschmiede auch mal ohne Zeitdruck Objekte zu realisieren wie sie Mario zum Beispiel mit seiner Violine hier vorgestellt hat.

Wenn ich hier in diesem thread über meine Arbeit sinniere, bemerke ich das ich, wenn ich das gerade diskutierte Dreieck (Qualität-Tempo-Preis) im Kopf habe, ich mich fast immer auf der Linie Tempo-Qualität bewegt habe.

Vieles habe ich in meiner Werkstatt dafür optimiert. Meinen früheren Mitarbeitern hatte ich mal gesagt, wenn sie den Ring noch anfassen können, feilen sie und schmirgeln sie zu langsam.
Heute arbeite ich immer noch so das der Schmuck gut warm ist (ausser beim Fassen). Ich hatte mir schon vor 30 Jahren Turbinenfräser gekauft, Schlaghandstücke mit Hartmetallsticheln zum Gravieren zugeschliffen u.s.w.
Mit dem Druckluftstichelsystem von Mario sympatisiere ich noch, früher war es mir trotz allem zu teuer.
Für die Politur hatte ich mir einen Motor mit über 5000 upm gekauft und mir bei Fischer Schwabbelscheiben mit 21 cm Durchmesser machen lassen.
So spare ich mir das Tripeln, das Gold fließt, aber der Schmuck wird oft so heiss das die Finger selbst in Schweisserhandschuhen warm werden. Die weisse Paste von Ulrich ist hier wieder ein Schritt nach vorn.

Wenn man darin Übung hat muss das keineswegs zu Lasten der Qualität gehen.

Heute besteht mein Tag überwiegend aus Handels-, Verwaltungs- und Gutachtertätigkeit. Wenn ich dann mal ein paar Stunden am Goldschmiedetisch verbringen darf, dann bin ich allerdings, von früher gewöhnt, bei einem relativ hohen Arbeitspempo (verglichen mit Münchener kollegen) geblieben.

Die Goldschmiedearbeit macht mir immer noch am meisten Spaß auch wenn ich dabei schwitze. :-)
Mario Sarto
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Mario Sarto

 ·  #6
Vielen Dank für die tollen Antworten!

Mein Fazit gleich vorweg: wir arbeiten in einem Bereich des Handwerks, der vielschichtiger nicht sein kann! Sowohl die Anzahl der Materialien als auch die unglaubliche Bandbreite der möglichen Techniken erfordern mehr als ein Leben, um sie alle kennenzulernen, geschweige sie zu beherrschen.

Es ist daher logisch, dass man sich auf gewisse Dinge konzentriert, andere eher selten oder gar nicht ausführt. Darum ist es vielleicht unmöglich Adrian, jemanden hervorzuheben.

Dies ist gerade im geschichtlichen Rückblick sehr interessant - schwärmen noch heute viele von ganz bestimmten Goldschmieden und ihren Künsten - vergessen dabei jedoch, das jene oft über eine ganze Schar von Mitarbeitern herrschten, welche wiederum - jeder für sich über ganz besondere Fähigkeiten verfügte. Den Wert dieser Arbeiten soll das keineswegs schmälern, schließlich mussten die Stücke, bevor sie die Werkstätten verließen, den Blicken der Meister standhalten.

Heutige Werkstätten sind in der Regel wesentlich kleiner und Mitarbeiterzahlen jenseits der zehn sind sehr selten geworden. Vielleicht ein Grund, warum es heute nur wenige überregional bekannte Namen gibt.

Auch sollte man den Wert solch großer Werkstätten im Bezug auf die Ausbildung bedenken. Ein junger Goldschmied konnte sicher mehr von dort mitnehmen, als dies heute bei ein, zwei oder drei Mann Betrieben möglich ist - von den verkürzten Ausbildungszeiten ganz abgesehen.
Meint ihr, dass die rein schulische Ausbildung in ihrer heutigen Form ein gleichwertiger Ersatz dafür ist?

Zuweilen stelle ich erschrocken fest, warum weiß ich das jetzt nicht, das müsste ich aber wissen - unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Sachlage finde ich aber Gnade vor meinen eigenen Augen ;-)
Darum denke ich, sollte man eher Respekt für eine vermeintlich einfache Frage zollen, zeugt sie doch vom Bestreben, etwas dazu lernen zu wollen.

Was ich erfreut feststelle, ist die Tatsache, das es euch genau wie mir ergeht: man sieht die Arbeit eines anderen und denkt wow, das möchtest du auch machen, einfach toll! Aber auch oh nein, wie einfallslos - da hätte man doch noch...
Darf oder sollte man das dann sagen - in beiden Fällen? Kommt vermutlich auf den Einzelfall an, oder?

An Selbstüberschätzung leidet hier wohl keiner - gut so. Dennoch hatte meine Frage natürlich einen Hintergrund. So habe ich es in den Jahren mehrfach erlebt, dass Goldschmiede mit ihren Stücken in die Werkstatt kamen und sie für das non plus ultra der Goldschmiedekunst hielten. Oft dachte ich dann im Stillen (einmal auch laut), so hättest du das nie raus gegeben. Anders herum stimmt es auch Patrik, wenn erfahrene Kollegen Deine Hilfe suchen, hebt das natürlich das Selbstwertgefühl!

Auf die Frage nach den Wettbewerben seit ihr leider nicht eingegangen. Habt ihr, wie ich, manchmal das Gefühl, da ist nicht alles mit rechten Dingen zugegangen? Auch wundere ich mich bei manchen über die Zusammensetzung der Jury. Ein Schmuckdesigner, zwei Stadtoberhäupter und ein Buchautor - nur als Beispiel :twisted:
Sparkle
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Sparkle

 ·  #7
Lieber Mario,

zu den Wettbewerben kann ich nur beisteuern, daß ich auch das Gefühl hatte, daß es nicht immer auf das Stück ankommt. Habe bisher nur 2 mal beim Leibnizring mitgemacht. Beim ersten Mal war mir klar, das ich nichts gewinne ( das teil war nicht so super wie vorgestellt). Beim 2.ten mal, war ich etwas enttäuscht über die Bewertung und ich hatte das Gefühl, das man als Lehrling kaum Chancen hat, den ersten Platz zu belegen, vielleicht um die teilnehmenden Meister nicht zu verprellen, bitte versteht das nicht falsch, das ist nur eine Vermutung, da die Bewertungskriterien meiner Meinung nach nicht wirklich transparent sind.

Mein Fazit: Ein Wettbewebsgewinn macht sich gut fürs eigene Image, ich machs erstmal nicht mehr, da ich auf meine Kosten achten muß. Wer weiß, eventl. in Zukunft mal wieder, je nach Thema.

Was die Ausbildung angeht, finde ich, das die Zeit viel zu kurz ist, um einige der vielen möglichen Techniken auszuprobieren, geschweige denn zu beherrschen. Leider herrscht heute so ein Zeitdruck was die Wirtschaftlichkeit angeht, da muß man halt Freizeit fürs Weiterlernen opfern. Ist jedenfalls meine Erfahrung.
Ich hatte aber ganz tolle Ausbilder, die mir viel Freiraum für meine Ideen ließen und mir immer mit Rat und Tat zur Seite standen. Bin noch sehr dankbar dafür !

So, jetzt wage ich mal meinen Wettbewerbsbeitrag, für den ich heute noch sehr viel positive Resonanz bekomme, Eurer Kritik zu stellen. Habe das Foto nur noch für meine Visitenkarte in digitaler Form vorliegen. Gebe zu, der Ring war technisch nichts besonderes, mir kam es auf die Symbolik an, Trägerin sollte Jutta Limbach sein, damals Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts.

Sende erstmal den Text ab, Foto folgt. Beides gleichzeitig klappt nicht.
Sparkle
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Sparkle

 ·  #8
Hoffe es klappt mit dem Foto...
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Juwelfix
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Juwelfix

 ·  #9
An Wettbewerben habe ich bisher nie Teilgenommen.
Ich kenne nur die Geschichten aus dem Kollegenkreis darüber.
Zum Beispiel die einer guten Bekannten, die während des Design-Studiums eine Tolle Entwicklung gemacht hat, damit nahm sie an einem Wettbewerb teil. In der Jury war auch ein bekannter Edelsteingraveur. Unter dessen Namen fand sich ein verblüffend ähnliches Schmuckstück kurz später in der GZ....

Oder eine andere Designerin, die am Gestalltungswetbewerb eines großen Kosmetikkonzerns teilnahm, und dafür, dass sie das Grundmodell einer Serie lieferte, gewann sie ein Täschchen mit Warenproben...
Tilo
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Tilo

 ·  #10
wegen Wettbewerben:
ist für mich völlig uninteressant
es werden da Objekte gemacht/prämiert, die nach meinem Verständnis oftmals nicht viel mit tragbarem Schmuck zu tun haben
ich kann nichts dafür, daß ich bei meinen Sachen konsequent auf Tragbarkeit und Alltagstauglichkeit achte: also keine Krappen, keine Haken/Spitzenübermäßig vorstehenden Teile
, meine Kunden zwingen mich dazu
ich habe sehr wenig Schmuck, der nicht auf gute Tragbarkeit optimiert ist

gut, vor 14 Tagen wollte seit längerem mal wieder ne Kundin eben nicht das Übliche und hat sich einen der etwas ausladenderen Ringe ausgesucht
heute der Anruf: Tilo, ich bleib überall hängen, kann ich den Ring tauschen?

ich bin bedient
weil sie will nicht das Übliche
aber auch nicht mit den Konsequenzen des Ausgefallenen leben

und deshalb ist meine Kreativität bezüglich ausgefallenem bis eigentlich untragbarem Schmuck, mit dem man bei solchen Wettbewerben antreten muß, ziemlich verkümmert
ist für mich praktisch Zeitverschwendung, das mache ich nichtmal aus Hobby
was da teils prämiert wird: Schmuck aus Papier, Filz, mit Fell, mit Wahnsinnsspitzen, scharfen Kanten, da bin ich zu spießig für
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