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25000 Jahre Schmuck

Warum schmücken wir uns? - Die staatlichen Museen in Berlin haben einen Prachtband zur Kulturgeschichte des Schmucks vorgelegt.

Manchmal knallt es gewaltig in der Breite Straße Nummer 97, mitten in der Kölner City. Hier im ersten Stock - zwischen dem alten Geigenbauer und dem jungen Reisebüro - hat Peter Güls seine Werkstatt. Der 70jährige Juwelier entwirft die von ihm angebotenen Halsketten, Colliers, Armreifen, Ringe und Ohrhänger nun schon seit Jahrzehnten ausnahmslos selbst. Mit dem Bunsenbrenner bearbeitet er dafür ein Material, von dem niemand annehmen würde, dass daraus gefertigte Schmuckstücke durchaus für mehrere Tausend Euro über den Tresen wandern: Eisen. Erst bei einer Schmelztemperatur von über 1.500 Grad lässt sich dieses störrische Metall bearbeiten. Da bleibt die eine oder andere Rückzündung im Brenner nicht aus. Nachdem in den Werkstatträumen also schon mal die Scheiben wackeln, färbt Peter Güls das "verdammt heiße Eisen" unter seinen Händen nach einer geheimen Rezeptur schwarz ein und kombiniert die Entwürfe schließlich mit Gold oder Platin, mit feinen Perlen, Diamanten, Saphiren und anderen Edelsteinen. Sogar Trauringe aus geschwärztem Eisen erfreuen sich großer Nachfrage, berichtet der Designer. Aber, warum ist das so? Warum lassen sich Menschen auch von außergewöhnlichen Designs begeistern? Ob dezent oder knallig-bunt: Warum, in Gottes Namen, schmücken wir Menschen uns überhaupt?

Einige Antworten auf diese Frage gibt ein neues Standardwerk zum Thema, das kürzlich im Münchner Prestel-Verlag erschien: "25 000 Jahre Schmuck" ist der Titel des knapp 400 Seiten starken Prachtbands, der - nicht nur angesichts seiner vielen außergewöhnlichen Abbildungen - selbst ein überaus wertvolles Schmuckstück darstellt, das jedem Bücherregal den Hauch einer funkelnden Juwelenvitrine verleiht. Dabei glänzt dieses aufwendig gestaltete Großformat nicht nur rein äußerlich: In 20 ausgesuchten und filigran editierten Essays erfahren wir unter der Regie der staatlichen Museen zu Berlin von zwei Dutzend fachkundigen Autorinnen und Autoren, was wir schon immer über Schmuck wissen wollten...

Schmuck ordnet die Welt

Am Anfang waren es Ocker, Ruß oder Asche, mit denen sich die Menschen der Frühzeit einrieben, um so ihren Körper zu "schmücken". Bald kamen Knochen, Tierzähne, Schnecken, Muscheln und naturbelassene Steine dazu. Sogar "Eisvogelfedern, schillernde Käferflügel oder menschliches Haar" dienten als Schmuck, berichten die Herausgeberinnen Maren Eichhorn-Johannsen und Adelheid Rasche. Später entwickelten vor allem die alten Ägypter, die Etrusker und die amerikanischen Urvölker aus den frühgeschichtlichen Anfängen des persönlichen Ausdrucks eine Hochkultur, die keinen Aufwand mehr scheute, um oft seltene und damit kostbare Rohmaterialien aufzufinden und zu Schmuckstücken zu verarbeiten.

Im Mittelalter dominierten Edelmetalle wie Gold und Silber - und zunehmend auch eingefasste Edelsteine. Während Naturvölker etwa auf Papua-Neuguinea am Körper getragenen Schmuck mit magischen Düften und Klängen kombinierten, die von Ketten und Armreifen ausgingen, demonstrierten die europäischen Höfe mit klirrendem Geschmeide Macht und Ansehen.

Doch so unterschiedlich die Gestaltung von Schmuck auch jemals sein mochte - etwas eint offenbar alle Menschheitsepochen und Völker bei ihren tieferen Beweggründen für all die Zierde: ihre Aussagekraft. Denn Schmücken bedeute auch immer, "eine Ordnung auf weltlicher, sozialer und geistiger Ebene zu bewirken", so die Direktorin des Schmuckmuseums Pforzheim, Cornelie Holzach, in ihrer Einführung zu "25 000 Jahre Schmuck". Im Altgriechischen gibt es dafür sogar einen Begriff: "kosmein" heißt "schmücken" - und zugleich auch "ordnen". Was genau damit gemeint ist, bringt Cornelie Holzach in ihrer brillanten Analyse auf den Punkt: "Indem der Mensch sich schmückt, befriedigt er die beiden gegensätzlichen Bedürfnisse von Individualität und Zugehörigkeit". Die Frau, die ihren Familienstand durch bestimmte Schmucksymbole zum Ausdruck bringt. Der Jäger, der seinen Jagderfolg mit Trophäen darstellt. Der Bürgermeister, den eine schwere Kette als Amtsinhaber ausweist. Sie alle machen durch Schmuck sichtbar, welchem Stand oder welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlen.

Kreuz, Talisman und Amulett

Und auch innerhalb einer Gruppe oder eines Gesellschaftssystems regelt getragener Schmuck oft die Stellung eines Menschen. Allerdings, so betont die Autorin, erschließen sich nur der Gruppe selbst wichtige Details und Zeichen, die die Position innerhalb einer Hierarchie angeben. Dies sei bei den nordindischen Naga-Kopfjägern nicht anders als bei den deutschen Hells Angels.

Auch spielt der Glaube eine große Rolle, wenn es um Schmuck geht. Ob als Talisman, Amulett oder heiliges Zeichen - Schmuck "ordnet" auch unser Verhältnis zu Göttern, Dämonen und innerhalb der verschiedenen Glaubensrichtungen. So weise "etwa ein Kreuzanhänger, den ein Gläubiger seit seiner Kommunion trägt, ihn für alle sichtbar als Katholiken aus", so Cornelie Holzach. Dass das Kreuz heute auch in der Mode inflationär Verbreitung findet, nehme ihm nicht die Bedeutung, die es für den Christen habe. Dabei reicht die Strahlkraft, die von derlei Symbolen ausgeht, von der inneren Verbindung zu Gott bis hin zum Vertrauen auf überirdische Kräfte, die ein Schmuckstück manchem Träger zu verleihen verspricht.

Schmuckdesigner der Gegenwart greifen - so wie Peter Güls - solch starke Symbole wie etwa Totenköpfe, Kreuze oder den Davidstern auf und erinnern damit an tief verwurzelte kulturelle und soziale Identifikationen. Kombiniert mit teils exotischen Materialien und laufend weiterentwickelten Herstellungsverfahren entstehen bis heute weltweit neue Schmuckstücke, die uns Menschen einzigartig machen und zugleich unsere Zugehörigkeit zu unserer "persönlichen" Szene symbolisieren.

"Gold gab ich für Eisen"

Die ungeheuer große Vielfalt der Schmuckgestaltung auf allen sieben Kontinenten hat Fotograf Stefan Büchner anhand Hunderter aussagekräftiger Exponate aus dem Fundus der Berliner Museen glänzend in Szene gesetzt - von der frühzeitlichen Muschelkette bis zum Acrylarmreif der Gegenwart. Viele Stücke werden in diesem außergewöhnlichen Band erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und wurden teilweise eigens dafür restauriert.

Auf der eindringlich gestalteten Zeitleiste kommt übrigens auch der eigentliche Ursprung des so seltenen Eisenschmucks nicht zu kurz: "Gold gab ich für Eisen", lautete das Motto vor 200 Jahren. Es war die Zeit der napoleonischen Kriege. Preußens Kriegskasse war schwer gebeutelt, bis Prinzessin Marianne von Preußen 1813 die Frauen des Landes aufrief, ihren Goldschmuck "für das Vaterland" zu opfern und gegen eigens massenhaft gegossene Eisenpreziosen einzutauschen. Aus geschwärztem Eisen gefertigte Diademe, Halsketten, Armbänder, Ohrgehänge, Broschen, Ringe und Spangen seien auf diese Weise zu einem weit verbreiteten modischen Accessoire geworden, berichtet Svenia Schneider in einem gesonderten Beitrag zu "25 000 Jahre Schmuck". Innerhalb nur eines Jahres nach dem Aufruf der preußischen Prinzessin wurden in der Königlichen Eisengießerei von Berlin 40 000 Stücke hergestellt. Unter der Bezeichnung "Fer de Berlin" hielt schwarzes Eisen später Einzug in die Vitrinen der Juweliere von Paris, London, Wien, Krakau oder St. Petersburg. Stücke aus jener Zeit werden heute in vielen Auktionshäusern hoch gehandelt. Peter Güls knüpft an diese alte Kunst der Schmuckgestaltung an - allerdings mit modernem, zeitgemäßen Design. Nicht nur junge Goldschmiede lassen sich zunehmend von den kontrastreichen Entwürfen des Kölner "Eisenjuweliers" inspirieren, sondern auch einige namhafte Hersteller, die entsprechende Lizenzrechte erwarben. Das Beispiel zeigt, wie längst vergessen geglaubte Materialien, Techniken und Designs bis heute weiterwirken - den sich rasant verändernden Moden und Geschmäckern zum Trotz.

Fazit: "25 000 Jahre Schmuck" gewährt uns wertvolle Einblicke in den Spiegel der Kulturgeschichte. Am Ende blicken wir dabei nicht nur zurück auf eine vielschichtige Historie des Schmuckdesigns. Sondern vor allem auch in die bunten Facetten unserer eigenen menschlichen Seele.

Bibliographische Angaben

25 000 JAHRE SCHMUCK

Herausgegeben von Maren Eichhorn-Johannsen und Adelheid Rasche für die staatlichen Museen zu Berlin / Stiftung Preußischer Kulturbesitz

384 Seiten, 400 Abbildungen Prestel-Verlag München, 2013

ISBN 978-3-7913-5296-1

€ 59,--

Uwe Herzog

Archivbeitrag 07.10.2013
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