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Tudor: Die Emanzipation der kleinen Schwester

Mit attraktiven Modellen im stimmigen Design ist Tudor endgültig aus dem Schatten der großen Schwester Rolex getreten. Die Tudor Heritage Black Bay gehörte sicher zu den Stars der letzten Monate. Und ältere Modelle dieser Marke erweisen sich sogar als lukrative Kapitalanlage.

Eine zufällige Beobachtung bei einem Stuttgarter Juwelier: Überglücklich, endlich das Objekt seiner Begierde erstanden zu haben, bezahlt ein Kunde seine neue Tudor Heritage Black Bay. In diesem Moment betritt ein anderer Mann das Geschäft. Er deutet auf die Titelseite eines Uhrenmagazins: "Genau diese Uhr würde ich gern in echt sehen", sagt er. Es ist - eine Tudor Heritage Black Bay. Auch dieser Kunde greift zu. Dass innerhalb von knapp 30 Minuten zweimal die gleiche Uhr verkauft wird, ist sicher ungewöhnlich und zeugt von der großen Beliebtheit der Taucheruhrenmarke mit der charakteristischen bordeauxroten Lünette und den Schneeflockenzeigern. Bereits auf der BASELWORLD 2012 stieß diese Retro-Uhr, in dessen Gehäuse ein Eta 2824 tickt, auf starkes Interesse.

Tudor, so scheint es, hat sich nun endgültig von Rolex, der großen Schwestermarke, emanzipiert. Das ist auch nur gerecht, denn diese Schweizer Marke ist längst viel mehr als nur ein preisgünstiger Rolex-Klon. Wie oft wurde sie in der Vergangenheit als "Rolex für Arme" verspottet. Und auch mancher Juwelier präsentierte sie nur in einem versteckten Winkel seiner Auslage: Die Marke Tudor galt gemeinhin als "zweite Wahl". Eine ordentliche Uhr von guter Qualität, aber eben keine Rolex mit Manufakturwerk. Doch seit ihrer Neupositionierung im Jahr 2009 hat sich die kleine Rolex-Schwester mächtig herausgeputzt.

Der aufmerksame Beobachter der Uhrenmesse BASELWORLD machte schon im Frühjahr 2010 eine bemerkenswerte Feststellung: Viele der Besucher betrachteten sich besonders interessiert die Kollektion der Rolex-Tochter Tudor. Vor allem das neue, leicht nostalgisch anmutende Modell Heritage Chrono fand viel Beachtung.

Der Heritage Chrono erinnert an die legendären Oysterdate Chronographen aus den 1970er Jahren und weist erkennbare Bezüge zum Rennsport auf. Was nicht überraschen kann, schließlich ging Tudor im Jahr 2009 eine Partnerschaft mit "Porsche Motorsport" ein. Daher wird der Heritage Chrono nicht nur mit einem Edelstahlarmband geliefert, sondern auch mit einem - zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftigen - schwarz-grau-orange gestreiften Textilarmband, das den Sicherheitsgurten in klassischen Rennwagen nachempfunden ist.

Bereits im Jahr 2009 hatte der Hersteller mit dem Hightech-Tauchermodell "Hydro 1200" (bis 1200 Meter wasserdicht), dem Hydronaut II und der Tudor Grantour für Aufmerksamkeit gesorgt. Kein Zweifel, die Rolex-Tochter setzt eigene Akzente, geht eigene Wege und spricht somit vor allem eine jüngere Zielgruppe an. Mit dem "Iconaut"-GMT-Chronographen entschied sich Tudor sogar für ein nachgerade avantgardistisches Design, das aber die Fans dieser Marke spaltete - die einen mokierten sich über das etwas chaotisch anmutende Zifferblatt, die anderen waren begeistert von dieser Uhr.

Rolex gehört zu den wenigen Uhrenmarken, die - zumindest bei bestimmten Modellen - auf ein hohes Maß an Werthaltigkeit verweisen können. Teilweise sind mit gesuchten Rolex-Zeitmessern beachtliche Wertsteigerungen zu erzielen. Aber mit Tudor? Für den Preis einer Rolex bekommt man etwa zwei Tudor-Uhren. Diese Faustformel gilt bis heute. Was nicht verwundern kann, schließlich war es das Ziel von Rolex-Gründer Hans Wilsdorf, eine Armbanduhr herzustellen, "die von unseren Fachhändlern preisgünstiger verkauft werden kann als unsere Rolex, die jedoch ebenso zuverlässig ist".

Im Jahr 1946 hatte der Unternehmer sein Ziel erreicht: Er hob die Firma "Montres Tudor SA" aus der Taufe und präsentierte bereits zwölf Monate später das erste Modell - die Tudor Oyster. Später folgte die Kollektion Oyster Prince, die von der britischen Marine auf Grönland einem sehr harten Praxistest unterzogen wurde. In den sechziger Jahren begann Tudor dann mit der Entwicklung von Uhren für professionelle Taucher. Mit ansehnlichem Erfolg: In den Jahren 1964 bis 1966 produzierte das Unternehmen seine Prince Submariner für die US-Navy und später das Modell "Marine Nationale" für die französische Marine.

In den 1970er Jahren lancierte Tudor den Oysterdate Chronographen, der den Bezug auf den Rennsport gleichsam vorwegnahm. Diese Uhren, deren Gehäuse von Rolex gefertigt wurden, sind heute bei Sammlern und Liebhabern dieser Marke sehr begehrt. Bestimmte Referenzen überflügeln auf Auktionen sogar die weniger gefragten Modelle der Konzernmutter Rolex. Vor einiger Zeit versteigerte das Auktionshaus "Antiquorum" einen Tudor Oyster Date Chronographen aus dem Jahr 1972 (Referenz 71690). Der Wert wurde bis auf 12.000 Euro geschätzt.

Zusammen mit den Referenzen 79170 und 79180 gehört auch die 71690 zu den sogenannten "Big Block-Chronographen" von Tudor. Wie der Name schon vermuten lässt, weisen diese Uhren einen etwas größeren Durchmesser auf als die Nachfolgemodelle. Charakteristisch für die "Big Blocks" ist überdies die Verwendung von Plexiglas über dem Zifferblatt (heute ist bei qualitativ hochwertigen Uhren Saphirglas Standard).

Rolex für Arme? Für die gesuchten Tudor-Modelle trifft das sicher nicht zu. So mancher Rolex-Besitzer würde gern mit stolzgeschwellter Brust einen "Big Block" in seine Sammlung aufnehmen.

Michael Brückner

Archivbeitrag 14.01.2013
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